Alvin Paavig, 2010
Photo: David Paavig, 2010

Als Jugendlicher (1922) bekam Dr. Pressel einmal Massagen und dadurch den Impuls, sich später mit Massage zu befassen. In seiner ersten Praxis in Bayreuth ab 1933 wurden schon die meisten Patienten am Rücken massiert, wahrscheinlich auch in Seitenlage (siehe Bild).

Eine alte königsberger Hebamme zeigte ihm damals das Setzen von Schröpfköpfen, das zu jener Zeit in Deutschland völlig in Vergessenheit geraten war, und womit er vielseitige Erfahrungen machen sollte.

Zu dieser Zeit lernte er die Anthroposophie kennen, die ihm dann für das ganze Leben zum Leitstern wurde. Hier entstand auch seine Beziehung zu Eurythmie und Heileurythmie, die er Zeit seines Lebens vertiefte.

Später kamen viele andere künstlerische Therapien dazu. So nahm er teil an Kursen in Malen, Plastizieren, Werbecksingen, Sprachgestaltung und Botmergymnastik, und suchte bei seinen Patienten Intresse dafür zu erwecken.

Eine Mitgliedschaft in der Anthroposophischen Gesellschaft strebte er damals laut mündlicher Übermittlung nicht an, solange in der Gesellschaft interne Auseinandersetzungen stattfanden, in die er nicht hineingezogen werden wollte.

 

Er sprach später so gut wie nie über diese Zeit, und seine Mitmenschen scheuten sich, ihn zum Erzählen zu drängen. Er war mit der Ärztin Anneliese Rausch verheiratet, mit der er zwei Kinder hatte, einen musikalisch hochbegabten Sohn und eine durch einen Impfschaden schwer behinderte Tochter.

Im zweiten Weltkrieg wurde er eingezogen und an der Front in Polen im Feldlazarett eingesetzt. Einige handgeschriebene Hefte mit Texten von Steiner, Goethe und Novalis begleiteten ihn durch diese Zeit, in der er zwar Kranke und Verletzte pflegte, aber nicht in seinem Sinne heilen konnte. Er war gezwungen, stets eine Handgranate bei sich zu tragen, aber, wie er einmal erzählte hat er sie nie benutzt.

Etwa zwei Wochen vor dem Ende des Krieges wurde er durch die sowjetische Armee gefangen genommen. Etwa gleichzeitig starben seine Frau und die Kinder bei einem Luftangriff der Alliierten auf Bayreuth, was er später im Gefangenenlager erfuhr.

 

Er erzählte einmal, er sei so dankbar, dass er im Lager weder an sich noch an seinen Mitgefangenen brutale Gewalt erlebt habe. Seine Begabung für Sprachen hat wohl dazu beigetragen, dass es in der Gefangenschaft einigermaßen menschlich zuging, da er sich bald darum bemühte, russisch zu lernen und mit den Offizieren und Gefangenenwärtern einen gewissen Dialog pflegen konnte. Mit einer Geige konnte er seine Mitgefangenen kulturell ansprechen. Sie wurde ihm insgesamt drei Mal abgenommen und er konnte sie mit der Tabakration, die er für sich nie in Anspruch nahm, wieder zurück erstehen. In dieser dreijährigen Gefangenschaft hatte er die Aufgabe, eine Krankenbaracke des Lagers zu betreuen. Hier wurde nun die Rückenmassage als eine seiner wenigen Hilfsmöglichkeiten eingesetzt und vertieft. Mitgefangene wurden als Helfer angelernt. Viel sinnvolles wurde getan, erlebt und eingesehen, obwohl es weder Massageliege, Handtücher, Wärmflaschen noch Öl gab, gefroren und gehungert wurde und in der lausigen Enge keine Arbeitsruhe zu finden war. Noch viele Jahre später kamen Postkarten aus aller Welt von ehemaligen Mitgefangenen, die sich dankbar an die Zeit im Lager erinnerten, die er durch seine Arbeit und sein geistiges Streben (zum Beispiel  wurden der „Faust“, Märchen und anderes zusammen gelesen) doch wesentlich erleichtert hatte.

Im Anhang findet der intressierte Leser einen mündlichen Bericht Simeon Pressels über die Zeit in Weissrussland.